MEIN KIND HAT HUSTEN
Zwei erfahrene Kinderärztinnen beantworten jede Woche die wichtigsten Fragen rund um Gesundheit von Kindern und Jugendlichen - ein Ratgeber zum Zuhören.
Neue Studie der Fachzeitschrift «British Journal of Ophthalmology» zeigt, dass
Kurzsichtigkeit bei Kindern immer häufiger wird.
Es scheint aber grosse Unterschiede zwischen Ländern und Kontinenten zu geben. Horst Helbig, Professor für Augenheilkunde, erklärt die Ergebnisse.
Das hängt davon ab, wo man sich befindet. In Asien, zum Beispiel in China oder in Thailand, ist es ein grosses Problem, weil dort bis zu 80 Prozent der Kinder kurzsichtig sind. Dort hat sich die Kurzsichtigkeit in den letzten Jahren und Jahrzehnten in diese Richtung entwickelt. In Mitteleuropa haben wir insgesamt weniger Kurzsichtigkeit und man hat auch diese dramatische Zunahme der Kurzsichtigkeit in den letzten 20 Jahren nicht erlebt.
Wie erklärt sich der Unterschied zwischen Mitteleuropa und anderen Ländern?
Es gibt zwei Ursachen: Erstens spielt es offensichtlich eine Rolle, welcher genetische Hintergrund vorhanden ist. Offensichtlich neigen Asiatinnen und Asiaten mit entsprechendem ethnischen Hintergrund mehr zur Kurzsichtigkeit als kaukasische Menschen in Mitteleuropa. Deshalb sind insgesamt die Prävalenzen, also die Häufigkeit von Kurzsichtigkeit, in Europa geringer
Kurzsichtigkeit hängt auch vom Lebensstil ab.
Zweitens hängt die Kurzsichtigkeit nicht nur von den Genen ab, sondern auch vom Lebensstil. Wir haben in Mitteleuropa schon seit 50 bis 70 Jahren einen urbanen Lebensstil. Wir lesen viel und verbringen nur wenig Zeit draussen. In Asien hat der Übergang von einer Agrargesellschaft zu einer urbanen Gesellschaft später stattgefunden. Das führt zu einer erheblichen Zunahme der Kurzsichtigkeit in Asien.
Laut der Studie sind Mädchen von dieser Entwicklung stärker betroffen als Jungen. Warum ist das so?
Mädchen sind halt einfach fleissiger (lacht). Nein, man weiss es nicht ganz genau. Das Einzige, das man nachgewiesenermassen tun kann, um die Häufigkeit der Kurzsichtigkeit zu reduzieren, ist: Kinder an die frische Luft zu schicken, sodass sie bei hellem Licht in die Ferne schauen. Auch das Tageslicht an einem bedeckten Tag reicht aus. 15 bis 30 Minuten draussen zu spielen, reduziert das Risiko für Kurzsichtigkeit erheblich.
Wie kann das Problem sonst angegangen werden?
Es gibt Versuche in Asien mit Medikamenten. Atropin-Tropfen in niedriger Dosierung können einen geringen Effekt auf die Entwicklung der Kurzsichtigkeit haben. Mit diesen Medikamenten bewegen wir uns aber in einer Grössenordnung einer Vierteldioptrie. Doch gerade in Asien mit einer hohen Kurzsichtigkeit – sechs, acht oder zehn Dioptrien – spielen Vierteldioptrien keine grosse Rolle. Und die Atropin-Studien konnten in Mitteleuropa nicht reproduziert werden.
Die pathologische Kurzsichtigkeit kann bis hin zur Erblindung führen, die man nicht mehr mit einer Brille beeinflussen kann.
In der Studie steht, in Zukunft könnte Kurzsichtigkeit zu einer globalen Gesundheitsbelastung führen. Sehen Sie das auch so?
Nun, die meisten Menschen leben in Asien, in China und in Indien. Insofern finden die globalen Probleme nicht in Mitteleuropa, sondern eher in Asien statt. Die Kurzsichtigkeit ist ja nicht nur ein Problem der Brille. Mit hoher Kurzsichtigkeit gehen auch andere medizinische Probleme einher, zum Beispiel Netzhautablösungen oder Vernarbungen im Bereich der Netzhautmitte. Die lassen sich nicht korrigieren. So kann die pathologische Kurzsichtigkeit bis hin zur Erblindung führen, die man dann nicht mehr mit einer Brille beeinflussen kann.
Quelle:
Elterninformationen
Die deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin hat komplett überarbeitete und aktualisierte Elterninformationen zu häufigen Gesundheitsproblemen im Kindes- und Jugendalter vorbereitet.
Diese Titel stehen Ihnen zum Lesen im Browser oder aber auch als PDF-Version zum Download zur Verfügung
Das Ausmaß der Belästigung und des Missbrauchs in den sozialen Medien hat einer englischen Untersuchung zufolge während der Coronapandemie deutlich zugenommen. In einem Bericht beleuchten englische und kandische Forscherinnen, welchen Online-Angriffen junge Menschen in England ausgesetzt sind. Darin wird beschrieben, wie die Pandemie eine Flut von Online-Diskriminierung, Hass und Missbrauch begünstigte.
Der Forschungsbericht „Young People's Experiences of Technology Facilitated Gender-Based Violence While Covid-19“ wurde von Professorin Tanya Horeck von der Anglia Ruskin University (ARU) in Cambridge zusammen mit Professorin Jessica Ringrose und Betsy Milne (beide vom University College in London) und Dr. Kaitlynn Mendes von der Western University, Kanada, veröffentlicht.
Die Forscherinnen befragten 551 britische Teenager (im Alter von 13 bis 18 Jahren) sowie Lehrer, Sorgeberechtigte und Eltern. Die Interviews führten sie sowohl in Schulen als auch online durch. Der Bericht ergab, dass 78% der Befragten mindestens eine Art von Angriff über soziale Medien erlebt hatten, darunter Bodyshaming, Online-Belästigung und sexuell geprägte Übergriffe. 99% der Teilnehmer*innen gaben an, dass die Vorfälle während der COVID-19-Pandemie zunahmen.
Die im Sommer 2021 befragten Jugendlichen waren begeisterte Social-Media-Nutzer*innen, wobei 89% über mindestens eine Art von Social-Media-Konto verfügten. Instagram war in dieser Altersgruppe am beliebtesten (83%), gefolgt von Snapchat (72%) und TikTok (65%). 96% der Teenager erzählten, während der Coronapandemie mehr Zeit online verbracht zu haben.
In der Untersuchung berichteten mehrere Teilnehmer,*innen - insbesondere Mädchen, - dass sie während des Lockdowns vermehrt unerwünschte sexuelle Nachrichten und Kommentare von erwachsenen Männern erhalten hätten. Dieser nicht gewollte Kontakt erfolgte oft in Form von Nachrichten, Anfragen, „Likes“ und Kommentaren auf Instagram von erwachsenen Männern, die die Mädchen selbst als „gruselig“ und „seltsam“ beschrieben.
Was unerwünschte sexuelle Bilder betrifft, so hatten 23% der jungen Menschen seit Beginn von Covid-19 sexuelle Fotos oder Videos erhalten, die sie nicht wollten, 83% gaben an, dass diese Aktivität während der Coronapandemiezugenommen habe.
Und die Untersuchung ergab, dass 11% der Teilnehmer*innen Aktivitäten erlebt hatten, die als sexuelle Ausbeutung und Nötigung eingestuft werden konnten. Dazu gehörten Online-Drohungen sexueller Natur, zum Beispiel der Androhung von Vergewaltigung sowie Erpressung oder Nötigung zu sexuellen Handlungen.
Die Studie zeigte auch, dass junge Menschen mit sexueller und geschlechtsspezifischer Diversität im Vergleich zu heterosexuellen Teenagern häufiger bestimmten Formen von Online-Angriffen ausgesetzt waren, darunter auch: beleidigende oder erniedrigende Nachrichten, Kommentare oder „Witze“ über ihre sexuelle Orientierung.
Die Hauptautorin, Professorin Tanya Horeck, kommentierte: „Wie unsere Untersuchungen ergeben haben, sind Online-Übergriffe bei jungen Menschen weit verbreitet […].“ Sie gibt auch zu bedenken, dass die wenigsten Heranwachsenden über ihre negativen Erfahrungen berichten.
Während Mädchen sowie Minderheiten einer höheren Rate an Online-Angriffen ausgesetzt sind, würden Jungen oft über Gaming-Plattformen, Porno-Bots und andere Fake-Accounts ins Visier genommen.Professor Ringrose denkt, dass Aufklärung wichtiger als Verbote sei: Wenn Heranwachsende über die Gesetze und ihre Rechte informiert seien, insbesondere auch was Onlineplattformen betrifft, trüge das wesentlich dazu bei, dass junge Menschen sowohl am Bildschirm als auch in der Schule mehr geschützt seien, lautet ihre Meinung.
Quellen: Anglia Ruskin University, Technology-Facilitated Gender-Based Violence During COVID-19
Wir lehnen den Referentenentwurf eines „Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz - CanG)“ entschieden ab. Aus Sicht von DGKJP, DGKJ, BAG KJPP, BKJPP und BVKJ führen die Legalisierungspläne der Bundesregierung zu einer Gefährdung der psychischen Gesundheit und der Entwicklungschancen junger Menschen in Deutschland. Der aktuelle internationale Forschungsstand weist darauf hin, dass eine Legalisierung gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erhöhtem Konsum und den damit verbundenen Gesundheitsschäden sowie zu einer verminderten Risikowahrnehmung gegenüber den Gefahren des Konsums beiträgt. Der Internationale Suchtstoffkontrollrat (INCB) der Vereinten Nationen hat in Kenntnis der Studienlage jüngst dringend von weiteren Legalisierungsbestrebungen abgeraten. Die Kriminalität wird mit der Legalisierung nicht eingeschränkt. Positive Effekte für den Jugendschutz sind mit den Legalisierungsplänen nicht zu erwarten, da Kinder und Jugendliche vor einem deutlich erweiterten Markt und den damit verbundenen konsumpermissiven Einstellungen nicht wirksam geschützt werden können. Die ursprünglich im Koalitionsvertrag im Jahr 2021 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vereinbarten Ziele, mit der „kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken“ die Qualität der Produkte zu verbessern, die Weitergabe verunreinigter Produkte zu verhindern und den Jugendschutz zu gewährleisten, werden mit den im Referentenentwurf genannten Plänen nicht erreicht.
Zum Gesetzesentwurf
Mit dem Gesetz soll ein verbesserter Kinder-, Jugend- und Gesundheitsschutz erzielt, die cannabisbezogene Aufklärung und Prävention gestärkt und der illegale Markt für Cannabis eingedämmt werden. Die Qualität von Cannabis soll kontrolliert und die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert werden. Dadurch sollen Konsumierende besser geschützt werden (§ 1 Ziele).
Mit dem Cannabisgesetz ist vorgesehen, Cannabis-Anbau in Vereinen, denen bis zu 500 Mitglieder angehören, zu gestatten. Weiterhin soll privater Eigenanbau von drei blühenden Pflanzen zugelassen werden. Vorgesehen ist die Abgabe von jeweils bis zu 25 g Cannabis an erwachsene Mitglieder, beschränkt auf maximal 50 g pro Monat, sowie zusätzlich bis zu 7 Samen oder 5 Stecklinge pro Monat. Für Heranwachsende unter 21 Jahren soll die monatliche Abgabe auf 30 g beschränkt werden sowie auf Produkte mit einem THC-Gehalt von nicht höher als 10 Prozent. Straffreier Besitz zum Eigengebrauch (Mitführen in der Öffentlichkeit) ist bis zu 25 g gestattet. Es gelten weiterhin Strafvorschriften für darüber hinaus gehenden Handel und Abgabe an Nicht-Mitglieder sowie die Weitergabe an Kinder und Jugendliche, bzw. von nicht in Vereinen angebautem Cannabis. Zurückliegende Verurteilungen, die sich ausschließlich auf Handlungen im Zusammenhang mit Cannabis beziehen und für die künftig keine Strafe mehr vorgesehen ist, sollen auf Antrag aus dem Bundeszentralregister gelöscht werden. Laufende Ermittlungs- und Strafverfahren zu diesen Handlungen werden mit Gültigkeit des Gesetzes eingestellt.
Im Gesetzentwurf werden Maßnahmen zum Jugendschutz deklariert. Kindern und Jugendlichen soll auch weiterhin verboten bleiben, Cannabis anzubauen, zu kaufen, zu besitzen und zu konsumieren. Bei Verstoß des Verbots sollen fortan keine strafrechtlichen Sanktionen mehr erfolgen, sondern stattdessen sollen Jugendliche, die gegen dieses Verbot verstoßen, durch Polizei und Ordnungsbehörden an das zuständige Jugendamt vermittelt werden. Anstelle einer strafrechtlichen Verfolgung sollen Jugendliche verpflichtet werden, an geeigneten Frühinterventionsprogrammen teilzunehmen (S. 89, B, zu Kap. 2, § 7).
Jede Anbauvereinigung müsse der lizenzgebenden Stelle ein geeignetes Gesundheits- und Jugendschutzkonzept vorlegen (§ 20, § 23). Der Zugang zu Anbauvereinigungen und Abgabestellen soll Kindern und Jugendlichen durch Alterskontrollen verwehrt werden.
Cannabiskonsum soll an Orten, an denen sich Kinder und Jugendliche regelmäßig aufhalten, verboten sein. Es sollen sogenannte „Schutzzonen“ in einem Umkreis von 200 m eingerichtet werden, beispielsweise im Eingangsbereich von Kinder- und Jugendeinrichtungen, Schulen, öffentlichen Kinderspielplätzen und Sportstätten. Je nach den örtlichen Gegebenheiten sollen auch sonstige öffentliche Orte, an denen sich Kinder und Jugendliche regelmäßig aufhalten vom Konsumverbot erfasst werden. Die Abstandsregelungen sollen verhältnismäßig sein und von Polizei und Ordnungsbehörden praktikabel geregelt werden können (S. 88f, B, zu Kap. 2, § 5, Abs. 2).
Der Zugriff durch Kinder und Jugendliche auf (geerntetes) Cannabis von Cannabispflanzen im Eigenanbau soll durch geeignete Sicherheitsvorkehrungen verhindert werden, etwa durch Sicherung von Grow-Boxen, mechanische oder elektronische Verriegelungsvorrichtungen, Verwahrung in kindersicheren Behältnissen, Räumen oder Schränken. Bei Verstößen durch Sorgeberechtigte gegen das Verbot der Weitergabe von Cannabis an Kinder und Jugendliche sollen familiengerichtliche Maßnahmen eingeleitet und Verstöße außerdem als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden können (S. 92, B, zu Kap. 2, § 10, Abs. 1).
Im Gesetzentwurf wird die Stärkung von Prävention angekündigt. Präventionsangebote für Jugendliche und junge Erwachsene sollen deutlich ausgeweitet werden. Dabei sollen die Lebenswelten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Schulen, Berufsschulen, Kinder- und
Jugendhilfeeinrichtungen, Sportvereinen, der Arbeitswelt sowie in Einrichtungen, die mit kognitiv eingeschränkten Personen arbeiten, Berücksichtigung finden. Die Finanzierung dieser Maßnahmen könne über die gesetzlichen Krankenversicherungen gem. § 20a, SGB V, erfolgen (S. 91, B, zu Kap. 2, § 8, Abs. 1).
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) soll evidenzbasierte und qualitätsgesicherte Materialien, Leitfäden oder Handreichungen bereitstellen. Über solches Aufklärungsmaterial hinaus sollen cannabisbezogene Präventionsmaßnahmen der BZgA unter Berücksichtigung einer zielgruppenspezifischen Ausrichtung (konsumunerfahrene Personen, Vielkonsumierende, Erziehungsberechtigte, Schwangere, Verkehrsteilnehmende, Ältere) ergänzt und ausgeweitet werden.
Durch früh ansetzende Präventionsprogramme könnten Kindern Kompetenzen vermittelt werden, „die Ihnen später einen verantwortungsvollen Umgang mit Suchtmitteln ermöglichen“. Das Angebot an entsprechenden frühen Präventionsmaßnahmen soll ausgebaut werden (S. 90, B, zu Kap. 2, § 8, Abs. 1).
Im Gesetzentwurf in der Fassung vom 28.04.2023 wurde die Stärkung von Präventions- und Suchtforschung angesprochen. Es gebe erheblichen Forschungsbedarf im Bereich der cannabisbezogenen Präventions- und Suchtforschung. Dafür stelle das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) entsprechende Mittel zur Verfügung (§ 7, Abs. 2). In der jetzt vorliegenden Fassung vom 05.07.2023 fehlt dieser Hinweis. Es wird nun angemerkt, das BMBF solle prüfen, „inwieweit Daten, die im Rahmen der Evaluation erhoben werden der wissenschaftlichen Gemeinschaft für über die Evaluation hinausgehende Auswertungen und Forschungen zentral zur Verfügung gestellt werden können.“ (S. 80, VII, Befristung; Evaluierung).
Stellungnahme
In einer Stellungnahme des International Narcotics Control Board (INCB) der Vereinten Nationen vom 9. März 2023 wird mit Blick auf die stark variierenden Ausgestaltungen der Legalisierungsansätze in verschiedenen Staaten festgestellt, dass die staatlichen Ziele der Legalisierung nicht erreicht werden würden.
Die erhöhte Erreichbarkeit von Cannabis gehe mit der Abnahme der Wahrnehmung von Risiken einher. Die Legalisierung von nichtmedizinischem Cannabis führe zu erhöhtem Konsum sowie vermehrten Gesundheitsschäden. In Legalisierungsstaaten werde ein Anstieg der Notfallbehandlungen und Verkehrsunfälle verzeichnet. Die Kriminalität werde nicht einschränkt.
Die Kinder- und Jugendpsychiater:innen und -psychotherapeut:innen und die Kinder- und Jugendärzt:innen in Deutschland haben in einem gemeinsamen Statement der Fachgesellschaften und Verbände vor den möglichen Risiken einer Cannabislegalisierung gewarnt und appelliert, etwaige Legalisierungsbeschränkungen nicht auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen auszutragen (www.dgkjp.de/Cannabislegalisierung/). Alle Vorsätze, die Legalisierung mit einem bestmöglichen Jugendschutz zu verbinden, hätten sich in vielen Legalisierungsländern als Illusion erwiesen. Bereits die gesellschaftliche Debatte um eine Abgaberegulierung von Cannabisprodukten habe ungünstige Effekte auf das Konsumverhalten junger Menschen. Suchtprävention habe in der Vergangenheit erwünschte Effekte gezeigt, wenn sie auf eine strikte Angebotsreduzierung zielt. Den Markt suchterzeugender Substanzen zu erweitern und auf eine schadenbegrenzende Beeinflussung von Gefährdeten und Konsumierenden durch Verhaltensprävention zu setzen, habe sich demgegenüber als kaum wirksam herausgestellt.
Allenfalls die verpflichtende Teilnahme an Frühinterventionsprogrammen anstelle einer strafrechtlichen Verfolgung von Kindern und Jugendlichen, die nach diesem Gesetzentwurf auch weiterhin kein Cannabis besitzen und konsumieren dürfen, ist aus unserer Sicht ein richtungsweisender Ansatz.
Die Forderungen der Suchtfachgesellschaften (DG-Sucht, DGS, dgsps) und der DHS (vgl. „Positionspapier zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken“DG-Sucht, DGS, dgsps, & DHS, 2022) werden mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung überwiegend nicht berücksichtigt: (a) Priorisierung und Ausbau der Jugendschutzes sowie Maßnahmen der strukturellen Prävention durch Begrenzung von Öffnungszeiten und Anzahl der Verkaufsstellen, legale Abgabe von Cannabis erst ab dem 21. Lebensjahr, Mengenbegrenzungen beim Verkauf sowie Begrenzung der THC-Gehalte in Produkten bei 15 Prozent, Verbot jeglicher Werbung, Produktanbau und Vertrieb allein durch staatliche Stellen, (b) konsequente Unterbindung illegalen Handels, (c) Verwendung der Steuereinnahmen für verbesserte und zusätzliche Maßnahmen in Prävention, Früherkennung, Frühintervention, Beratung, Begleitung und Behandlung, Versorgungs- und Therapieforschung im Bereich der cannabisbezogenen Störungen, (d) Erweiterung des bundesweiten Drogen- und Gesundheitsmonitorings sowie (e) Einrichtung einer ständigen Expert:innengruppe als Beratungsgremium der Bundesregierung.
Zusammenfassend kann festhalten werden, dass aus Sicht der Suchtprävention mit der Abgaberegulierung und der Markterweiterung für Cannabisprodukte zum nichtmedizinischen Gebrauch ein falsches Signal gesetzt wird. Die Änderungen in der Drogenpolitik tragen zur Verharmlosung der gesundheitlichen Gefahren, negativen Folgen und Langzeiteffekte des Cannabiskonsums bei.
Die Risikowahrnehmung in der Bevölkerung für die gesundheitsgefährdenden Effekte des Konsums nimmt ab. Da Entwicklungs- und Reifungsprozesse und insbesondere auch die Hirnreifung bis über die Mitte der dritten Lebensdekade hinausreichen, sind Abgaberegulierungen mit Altersbegrenzungen bei 21 oder gar 18 Jahren aus entwicklungs-(neuro-)biologischer Sicht nicht plausibel. Darüber hinaus zeigt sich in den USA und in Kanada, dass die mit der Legalisierung angestrebte Austrocknung des Schwarzmarktes nicht gelingt. Konsumierende beschaffen sich die Cannabisprodukte zu einem nicht geringen Anteil auch weiterhin über illegale Quellen. Insbesondere jüngere Konsumentengruppen nutzen die Schwarzmarktprodukte bevorzugt.
Neben dem fortbestehenden Schwarzmarkt erweisen sich Probleme mit Zwischenhandel, Schmuggel und Betrug bisher als weitgehend unlösbar. So darf auch bezweifelt werden, ob die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Regulierungen für Anbauvereinigungen sowie die Vorschriften für den privaten Eigenanbau tatsächlich umgesetzt und deren Einhaltung von den regionalen Behörden angemessen kontrolliert werden können. Die dargestellten Maßnahmen zum Jugendschutz (Abstandsregelungen, privater Eigenanbau und Konsum in Haushalten) werden aller Voraussicht nach schwer kontrollierbar sein und durch die psychologischen Effekte eines allgegenwärtigen Cannabiskonsums (in Parks, Freizeiteinrichtungen, Fußgängerzonen ab 20 Uhr usw.) überstrahlt werden.
Kommentar zu einzelnen Ausführungen
Es wird im Gesetzentwurf dargelegt, dass mit der Begrenzung der Abgabemengen auf 25 g Cannabis pro Tag bzw. 50 g pro Monat die Suchtrisiken der Mitglieder verringert werden würden. Die Begrenzung des THC-Gehaltes auf 10 Prozent für die unter 21-Jährigen sowie die damit verbundenen Alterskontrollen und Produktdeklarationen seien „ein deutliches Signal an Heranwachsende, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis für sie besonders wichtig ist“ (S. 110, B, zu Abschn. 3, § 19, Abs. 3).
Hierzu ist festzustellen, dass Cannabisabhängige im Jugend- und jungen Erwachsenenalter in der Regel zwischen 1 g und 2 g Cannabis pro Tag konsumieren und die vorgesehene Abgabemenge den üblichen Bedarf von behandlungsbedürftigen Abhängigen deckt. Dass Suchtrisiken mit der Mengenbegrenzung verringert werden würden, ist nicht plausibel.
Es wird dargelegt, dass bei Kindern und Jugendlichen die Gehirnentwicklung noch nicht abgeschlossen sei. Daher seien Jugendliche, die Cannabis konsumieren, von besonderen gesundheitlichen Risiken bedroht. Es könnten „bleibende Einschränkungen der Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistung resultieren“ sowie „ein erhöhtes Risiko, eine Cannabisgebrauchsstörung zu entwickeln“ (S. 110, B, zu Abschn. 3, § 19, Abs. 3).
Hierzu ist festzustellen, dass die gesundheitlichen Risiken deutlich über die Einschränkungen der Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistung hinausgehen. Experimentelle Studien weisen auf Störungen der Myelinisierung infolge epigenetischer Effekte der Cannabinoide hin. Die klinische Forschung belegt ungünstige Einflüsse intensiven Cannabiskonsums auf Gedächtnis-, Lern- und Erinnerungsleistungen, Aufmerksamkeit, Problemlösen, Denkleistung und Intelligenz. Diese Effekte sind in Kongruenz mit dem Nachweis altersabhängiger struktureller und funktioneller Veränderungen im Bereich der grauen und weißen Hirnsubstanz bei Cannabiskonsumierenden in der Adoleszenz zu bewerten. Bei vulnerablen Personen besteht darüber hinaus ein dosisabhängiger Zusammenhang mit depressiven Störungen, Suizidalität, bipolaren Störungen, Angsterkrankungen sowie zusätzlichem Missbrauch von Alkohol und anderen illegalen Drogen. Cannabiskonsum kann bei vulnerablen Personen Psychosen auslösen und den Verlauf schizophrener Psychosen deutlich verschlechtern. Intensiv Cannabiskonsumierende brechen häufiger die Schule ab und weisen ungünstigere Bildungsabschlüsse als Nichtkonsumierende auf.
In § 8 wird die Notwendigkeit einer Stärkung von Prävention zu Recht angekündigt, es bedarf jedoch an dieser Stelle dringend weiterer Konkretisierung. Um wirklich wirksamen präventiven Jugendschutz gegen chronischen Cannabiskonsum zu bewirken, bedarf es insbesondere früher Präventionsangebote. Unter anderem einer fortlaufenden Intervention bei den unter 12 – jährigen Kindern in speziell durch Suchtkrankheit belasteten Familien. Denn deren Risiko liegt zehnfach höher, mit frühem Eintrittsalter (vor dem 14. Lebensjahr) dauerhaft in gefährliche Konsummuster zu geraten.(1) Dies betrifft in Deutschland ca. 2,6 Millionen Kinder und Jugendliche.
Daneben sollte die aufsuchende Aufklärungsarbeit insbesondere in den Schulen und Lebensbereichen der Jugendlichen (Peer-Education), aber auch über soziale Medien/ Influencer verbessert werden. Dabei sollte der Focus auf der Stärkung der Resilienz von Jugendlichen liegen.
Auch ist die Finanzierung wirksamer Frühinterventionen auf eine verlässliche finanzielle Basis zu stellen. Bestehende Mittel müssen dringend aufgestockt werden. Der Hinweis auf Mittel der Krankenkassen zur Prävention in Lebenswelten (§ 20a SGB V) ist sachgerecht muss aber präzisiert werden. Es ist gleichzeitig bedauerlich, dass die formulierten Maßnahmen zur Prävention nicht substanzübergreifend mit dem bestehenden Jugendschutzgesetz gegen den Alkoholkonsum verknüpft wurden.
Der Anstieg des Cannabiskonsums in Kanada wie in den USA nach der Legalisierung ist u.a. auf die erhebliche Zunahme des Konsums essbarer THC – haltiger Produkte in der erwachsenen Bevölkerung zurückzuführen. Dass der Gesetzentwurf die Expertenhinweise auf die Gefahren sogenannter „edibles“ gerade in Haushalten mit Kleinkindern ernstnimmt und diese weiterhin verbietet, ist ausdrücklich zu begrüßen.
Dass eine verbindliche fortlaufende Begleitforschung insbesondere in Bezug auf die Auswirkungen auf den Konsum und die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen vorgesehen ist, ist zu begrüßen. Es sollten weiterhin klare Konsequenzen für notwendige Maßnahmen zum Gesundheitsschutz definiert werden, wenn die Evaluation nicht die von der Legalisierung erhofften Ergebnisse ausweist.
Im Gesetzentwurf werden die Angaben zur Abstandsregelung für sogenannte „Schutzzonen“ nicht einheitlich benannt. Teilweise werden 200 Meter „Luftlinie“ vorgeschrieben und an anderer Stelle 250 Meter.
Eine vermutlich nicht intendierte Formulierung findet sich auf Seite 82 (B, zu § 1, Nummer 7) des Gesetzentwurfes: „Auch dann handelt es sich um Nutzhanf, da sich das Cannabis lediglich zu industriellen bzw. gärtnerischen, jedoch nicht zu Suchtzwecken eignet“.
Anmerkungen:
(1) Eine ab Geburt durchgeführte Langzeitstudie aus Großbritannien mit > 5000 Teilnehmenden bis zum
18. Lebensjahr hat dies nachdrücklich gezeigt (Lindsey A Hines et al., “Adverse childhood experiences and
adolescent cannabis
use trajectories: findings from a longitudinal UK birth cohort” in www.thelancet.com/publichealth
Vol 8 june 2023: e442-e452).
Kinder müssen vor Werbung für Lebensmittel mit einem hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehalt geschützt werden. Das fordert das Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit zu dem sich Gesellschaften und Fachverbände für Kinder- und Jugendmedizin, Kinderkrankenpflege und Elternverbände zusammengeschlossen haben.
Thomas Fischbach, Vorsitzender des Bündnisses und zugleich Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ): „Die Lebensmittelindustrie bewirbt fast ausschließlich ungesunde Nahrungsmittel, die viel Zucker, Fett oder Salz enthalten und welche die Entstehung von Übergewicht fördern. Da die Ernährungsgewohnheiten in Kindheit und Jugend geprägt und dann zu einem hohen Grad im Erwachsenenalter beibehalten werden, versucht die Lebensmittelindustrie, Kinder als Kunden von morgen mit Hilfe spezieller Kinderprodukte und entsprechender Werbung frühzeitig an Marken und Produkte zu binden. Daten belegen, dass Kindermarketing das Risiko erhöht, überschüssiges Gewicht zuzulegen. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie haben sich als wirkungslos erwiesen. Daher sind verpflichtende Regelungen nötig.“
Kinder, deren Gesundheit durch zu viel Fett und Zucker gefährdet wird, haben oftmals Nachteile in ihrem ganzen späteren Leben. Aus Sicht des Bündnisses Kinder- und Jugendgesundheit ist es eine Frage der Chancengerechtigkeit, dass alle Kinder egal aus welchen Familien sie stammen, mit gesunden Lebensmitteln aufwachsen können. Der Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, der Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel vorsieht, ist derzeit in der Ressortabstimmung. Er wurde auf Druck der FDP stark abgeschwächt im Vergleich zu einer früheren Version.
Jörg Dötsch, Vorstandsmitglied im Bündnis und zugleich Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ): „Kinder, die zu viel ungesunde Lebensmittel essen, werden ihre gesundheitliche Entwicklung nicht optimal ausschöpfen, laufen sogar Gefahr adipös und im Verlauf chronisch krank zu werden. Dies hat in der Folge negative Auswirkungen auch auf andere Lebensbereiche. Dies umso mehr, je weniger die Eltern auf eine gesunde Ernährung achten. Ich bin davon überzeugt, dass dies nicht im Interesse der FDP ist und erwarte, dass sie beim Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung nachjustiert.“
Das Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit ist überzeugt, dass ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder richten, einen positiven Effekt auf die Prävention von Übergewicht, Fettleibigkeit und chronischen Krankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben wird. Ein Werbeverbot sollte sich einfügen in einen Maßnahmenkatalog zu dem auch Ernährungsbildung, eine Zuckersteuer und eine steuerliche Begünstigung von gesunden Lebensmitteln gehören.
Andreas Oberle, Vorstandsmitglied im Bündnis und zugleich Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ): „Wir appellieren an die Bundesregierung, das Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder richten, zu beschließen. Wir glauben, dass dies ein notwendiger Schritt ist, um das Recht unserer Kinder auf Gesundheit zu gewährleisten. Die Lebens-mittelindustrie wird damit leben können. Viele Produkte könnten durch geringfügige Anpassungen der Zutaten die Grenzwerte für gesündere Lebensmittel einhalten und dadurch wieder im Umfeld von Kindern werben."